Es ist mal wieder Cannes. Und wer als Kreativer etwas auf sich zählt der fährt an die Croisette und präsentiert seine Arbeiten einer internationalen Jury von Mittbewerbern, die sich im normalen Leben die Butter auf dem Brot nicht gönnen. Eine Betrachtung …
Auffällig dürfte sein, dass man von Seiten der Veranstalter endlich realisiert, dass Werbung nicht wirklich Zukunft hat, bzw. diese Zukunft sich mehr und mehr online abspielt und nicht im Café auf der Promenade. Also ist man nicht länger “international Advertising Festival” mehr sondern ein “international Kreativity Festival”.
Schließlich setzt man in Cannes Trends, gerne auch mal mit 20 Jahren Verzug. Jetzt dürfen auch Digitale und Webber (nicht Werber) mal ran – so erweiterte auch schon die Künstlersozialkasse ihre Zielgruppe in den vergangenen Jahren.
Also flugs knapp 3000 Euro für das Ticket bezahlen, oben drauf die Gebühren für die Einreichungen in ähnlicher Höhe – schließlich will man ja wenigstens in einer Kategorie auf die Shortlist. Dann noch eine Woche für die Kreativelite im Haus direkt an der Promenade schicke Hotelzimmer buchen. Sonst fahren die armen Mitarbeiter im Vollrausch der allabendlichen Incentives versehentlich mit dem Bus nach Marseille. Da steht auf Seiten der Ausgabe dann schnell und locker ein fünfstelliger Betrag – trotzdem werden sich am Ende doch nur wieder alle über schlechtes Essen, wenig Service und enge Sitzreihen beschweren. Eventuell bezieht sich der Begriff "Elite” in Cannes weniger auf die kreative denn auf die monetäre Kraft
Rechnet man dazu, dass die Vorbereitung der Einreichung nicht unerheblich ist und man das für verschiedene Kategorien erledigen muss, kommt der schwäbische Controler am Ende zur Einsicht, dass die paar Tage Cannes das Jahresbudget im Bereich Neukunden und Vertrieb verbrennen, wie die nicht eingecremte Haut unter der Sonne des französischen Südens. Wenn auch auf die wahrscheinliche angenehmste Art die man sich vorstellen kann.
Nein, Cannes ist nicht der Treffpunkt der Kreativelite wie es sich das Festival so schön auf die Fahne schreibt, Cannes ist der Abgesang auf die absolutistische, monokulturelle Herrschaft der Werbesauriernetzwerke, die sich hier direkt vor dem Aussterben noch mal so richtig feiern lassen – es sei Ihnen von Herzen gegönnt.
Nur kann ich und will ich nicht verstehen, weshalb jetzt die Internet-Propheten, die Ihren Kunden die letzten Jahre täglich ins Gebetsbuch schreiben, man solle doch bitte kein Geld mehr für klassische Werbung oder Incentives ausgeben, sondern diese Unsummen einfach ins Internet stecken, die freigewordenen Handtücher am Strand der Croisette mit viel Geld und Aufwand übernehmen. Sogar in einem Maße, dass sich die Saurier beschweren, dass wäre einfach nicht mehr Cannes, weil soviele Werbeveranstaltungen von Digitalanbietern stattfänden. Man muss sich das auf der Zunge zergehen lassen, dass sich Werber über Werbung beschweren. Vielleicht zu viel Sonne.
Fazit: Cannes lohnt sich als feines Incentive oder teuerste Kaffeefahrt Europas – kann man den unterbezahlten Kreativdirektoren und Etat-Directricen mal eine schöne gemeinsame Woche bescheren und darauf hoffen, dass die Konkurrenz sie nicht bei einem Löwen abwirbt. Ansonsten ist es so wie bei allen Messen und Massenveranstaltungen, die gegen die vielbeschworene digitale Transformation kämpfen: Man sollte aufhören wenn es am schönsten ist.
In diesem Sinne: Au revoir!