Abseits meiner Arbeit in der eigenen Internet-Agentur sitzen vor mir in wöchentlichem Rhythmus 14 wackere Damen und Herren, die sich via IHK-Zertifikatslehrgang zum Online-Medien-Manager weiterbilden möchten. Der Lehrgang entsprang der Idee, einen neuen Typus von Marketing-Verantwortlichen hervorzubringen. Ausgestattet mit dem Wissen eines Online-Generalisten ist dieser dann nicht mehr den Einflüsterungen des fahrenden Volks der Suchmaschinenoptimierer, Web-Werber und Social-Media-Spezialisten hilflos ausgeliefert.
Entsprechend sind die 120 Stunden Vorlesung gefüllt und aufgrund des erfreulicherweise hohen Vorwissens der Teilnehmer, auch auf sehr gutem Niveau. Das aber nur zur Einleitung einer Beobachtung, die ich während der letzten Monate im Kurs gemacht habe: Online ist in der Mehrzahl der mittelständischen Unternehmen immer noch das Thema von Einzelkämpfern, die sich per Vorgabe um das Internet und den ganzen Online-Zirkus kümmern sollen. Geht ja alles automatisch, ist ja alles Internet, ist ja überall und kann auch nicht so schwer sein, wenn schon 14-jährige auf YouTube zum Star werden können. Woran liegt diese Online-Verweigerung in vielen Unternehmen, bzw. die völlige Verweigerung der Wichtigkeit, diese „neuen“, bzw. eigentlich etablierten Medien zum eigenen Vorteil zu nutzen?
Über die Zeit habe ich mir so mein eigenes Bild gemacht und dieses werde ich in den kommenden Wochen an dieser Stelle aufarbeiten. Freue mich darauf und heute starte ich mal vorne, bei der Planung von Internet. Hier hakt es in den meisten Firmen schon gewaltig.
Erster Aufzug: Wir machen jetzt mal Internet.
Nach zwanzig Jahren als Designer und Berater vorrangig mittelständisch geprägter B2B-Kommunikation nehme ich an dieser Stelle ein gewisses Fach- und Branchenwissen für mich in Anspruch, das die Basis der folgenden Überlegungen ist.
Erster Akt: Internet!
„Wir brauchen ein Internet!“, so oder ähnlich verkürzt schallte es in den letzten 10 Jahren mehr oder minder laut durch die Tür des Geschäftsführers manches Mittelständlers in Richtung Marketingabteilung. Diese Abteilung, meist mit ein- bis drei MitarbeiterInnen besetzt und innerbetrieblich für die Beschaffung von bedruckten Kugelschreibern und Hausmessen bekannt, bekam via Order von oben damit die Aufgabe das Unternehmen in das nächste Jahrtausend der Kommunikation zu führen.
Vorgaben? Nicht mehr oder weniger der Gewinn der Zukunft. Was liest man nicht allerorten über die erfolgreichen Unternehmen, die mit Hilfe dieses Internets den eigenen Umsatz verdreifacht haben oder völlig neue Zielgruppen eröffnet und damit die Reichweite vervielfacht.
Also los, auf und nicht zurück in die Zukunft. An dieser Stelle kracht es dann meistens, wenn dieser Artikel hier für den „Siebten Sinn“ geschrieben wäre. Zwei Fahrzeuge knallen ineinander und die Stimme im Off kommentiert sonor: „Umsichtige Fahrweise verhindert eine Vielzahl von Unfällen mit beträchtlichen Kosten und Schaden für alle Beteiligten.“
Zurück in den Mittelstand und zur motivierten aber völlig allein gelassenen Marketingabteilung für die ich an dieser Stelle gerne mal eine Lanze brechen möchte, weil es nicht wirklich Spaß macht, dass die Erfolge des eigenen Tuns immer vom Vertrieb vereinnahmt werden und alles andere als „das war halt das Marketing“ abgetan wird.
Zweiter Akt: Die richtige Agentur!
Was tun? Zuerst einmal ruft man die an, die man immer anruft. Entweder den Haus- und Hofgrafiker oder eine Werbeagentur. Schließlich ist Internet ja auch nicht viel mehr als eine große Broschüre, die eben gleichzeitig auf der ganzen Welt gelesen wird. Das mag an dieser Stelle ketzerisch klingen, aber bisweilen denken Marketingverantwortliche – die das lesenden natürlich ausgenommen – heute immer noch so. Werbeagenturen in der Mehrzahl übrigens auch und deshalb wird nach einer kurzen Strukturierungsphase die mit Hilfe eines dreistufigen Organigramm der geplante Webseite schnell überwunden wird auch direkt mit den Entwürfen von zwei, maximal fünf Seiten begonnen, die mangels echtem Inhalt wie immer mit Blindtext gefüllt werden. In Hausschrift und schickem Blocksatz.
Der erfahrene Onliner sieht an dieser Stelle bereits das Unheil in der Tür stehen und mit beiden Händen winken. Die zwischenzeitlich schon gespannte Geschäftsleitung freut sich über die schönen Pappen auf denen der Online-Auftritt präsentiert wird und gibt das OK für die Umsetzung. Kann ja jetzt nicht mehr lange dauern, ist ja schon so gut wie fertig. Das Unheil tanzt mittlerweile Tchatchatcha auf den Gängen und freut sich auf den nächsten Akt.
Dieser startet mit dem Briefing des einen gerade verfügbaren Entwicklers, den die Agentur immer mit Internet beauftragt und der ob des kommenden schon nicht mehr an einen guten Morgen glauben möchte. „Geht nicht“, möchte er sagen, hat er aber vom Agenturchef verboten bekommen, weil das die Kunden immer runterzieht und wer will das schon.
Dritter Akt: Endlich Ruhe!
Folglich wird für das kommenden Chaos, die fehlenden Inhalte, die unscharfen Bilder, das nicht passende Layout, die Verzögerungen und Mehrkosten mal wieder die Schar der üblichen Verdächtigen verantwortlich gemacht: die Technik, per se immer die Böse, dann Microsoft, weil schon immer böse, die Entwickler des CMS oder einer anderen Abkürzung mit drei Buchstaben, die nur für den amerikanischem Markt denken.
Wenn dann vier Monate später eine Version, Variante, Abart oder wie man es auch nennen mag, der ursprünglichen Entwürfe online geht, empfiehlt der Agenturchef, jetzt erst einmal wieder was richtiges zu machen und den neuen Auftritt mit einem dreistufigen Mailing bei den Kunden bekannt zu machen und auch in der anstehenden Kampagne die Internetadresse prominent am unteren Rand zu positionieren.
Alle Beteiligten sind an dieser Stelle froh, jetzt für die nächsten fünf Jahre wieder Ruhe vor diesem Internet zu haben, bis dann die Geschäftsleitung feststellt, dass man dringend einen Relaunch braucht.
Wenn Sie an dieser Stelle noch bei mir sind und denken, das ist alles aus den Neunzigern und heute wird ein Internetauftritt in jede Fall professionell über ein mehrstufiges Planungs- und Strukturierungsmodell entwickelt und Entwürfe gibt es erst nach der Verabschiedung des Lasten- und Pflichtenheftes, einer durchdachten Informationsarchitektur und einem gescheiten Inhaltskonzept, dann gehören Sie zu einer glücklichen Minderheit, die schon da angekommen ist, wo viele noch hinwollen.